Rhätische Bahn (RhB/BM)

Strecke: Bellinzona FR – Mesocco

Talfahrender Zug unterhalb Soazza.  1972                     Foto  P. Sutter, Archiv Tramclub Basel

Hier liegt die Strecke

Bellinzona liegt an der Gotthard-Südrampe.

Geschichte

Als 1882 die Gotthardbahn eröffnet wurde, war man auch im Tessin und im Mesolcina begeistert von dem neuen Verkehrsmittel. Es ging nicht lange und auch in Mesocco verlangten einflussreiche Personen eine Bahnverbindung zur Hauptstrecke. Die Bahn wurde konzessioniert und erhielt als erste Unternehmung die Bewilligung Gleichstrom mit der erhöhten Spannung von 1500 V anzuwenden. 1907 konnte in zwei Etappen die elektrische Schmalspurbahn Ferrovia Bellinzona – Mesocco BM den Betrieb aufnehmen. Bereits ein Jahr später wurde durch den Direktor der BM die Konzession für eine Streckenverlängerung über den San Bernardinopass nach Thusis mit Anschluss an das RhB-Netz verlangt.

Aus heute unerklärlichen Gründen wurde die Ausgangsstation Bellinzona in einer Entfernung von ca. 500 m vom Bahnhof der Gottharbahn erstellt. Wahrscheinlich wollte die Gotthardbahn kein Terrain abgeben. Dieser Umstand wirkte sich natürlich nicht gerade kundenfreundlich aus. Trotz mehrerer Projekte zur direkten Einführung der BM in den Hauptbahnhof konnte aus finanziellen Gründen die Realisierung nicht erfolgen. Auch mit der Bahnverlängerung nach Thusis hatte man keinen Erfolg. Während und nach dem ersten Weltkrieg war es unmöglich das nötige Kapital aufzubringen.

In den Kriesenjahren vor dem zweiten Weltkrieg hatte die Bahn grosse finanzielle Probleme und verlangte Hilfe vom Bund. Dieser machte die Hilfeleistung von einer vorgängigen Fusion mit der Rhätischen Bahn abhängig – die BM liegt zum grössten Teil im Kanton Graubünden. 1942 erfolgte die Fusion und damit wurde die BM zu einer Teilstrecke der RhB. Die Bahn wird nun zaghaft modernisiert, das heisst es gelangt altes Rollmaterial von der RhB auf die Misoxerstrecke. Doch der stetige Rückgang der Frequenzen kann dadurch nicht gestopt werden.

In dieser Situation war die RhB nicht mehr gewillt weitere Finanzen einzuschiessen und verlangte beim Bund die Einstellung des Personenverkehrs. Da hatte die RhB die Rechnung allerdings ohne die Bevölkerung gemacht. Sie war absolut nicht gewillt ihre Bahn aufzugeben und es enstand ein jahrelanger Kampf. Weil kein neues Rollmaterial angeschafft werden konnte, das alte aus der Bahneröffnungszeit jedoch teilweise unbrauchbar wurde, kam es zur grotesken Situation dass längere Zeit ältere Triebwagen der Appenzellerbahn im Misox zu Gast waren. 1972 war der Kampf der Bahnfreunde zu Ende gekämpft – der Personenverkehr wurde eingestellt.
Der Güterverkehr sollte vorderhand weiter über die Schienen rollen und weil der Güterumschlag in Castione-Arbedo erfolgte, konnte die Strecke Bellinzona – Castione-Arbedo abgebrochen werden.

1978 wurde die Südschweiz von einem Jahrhundert-Unwetter heimgesucht. Die Misoxerstrecke wurde im obern Teil schwer beschädigt. An einen Wiederaufbau war angesichts des spärlichen Güterverkehrs nach Mesocco nicht zu denken. Auch diese Teilstrecke wurde abgebrochen und es verblieb noch die Strecke zwischen Castione-Arbedo und Cama. Hier war der Güterverkehr auf Rollschemeln zufriedenstellend, doch als die Moesa-Werke ihre Tore für immer schlossen verlor die Bahn ihren Hauptkunden.
Die RhB stellte beim Bund das Gesuch den Güterverkehr auf der Reststrecke ebenfalls einstellen zu können. 2003 wurde der Güterverkehr eingestellt und die Konzession an die SEFT übertragen, welche schon seit einigen Jahren auf der Reststrecke Touristikzüge betrieb. Infolge fehlendem Interesse der Talgemeinden und neuer Projekte in Roveredo nach Verlegung der Autobahn, wurde die Betriebskonzession der Museumsbahn auf Ende 2013 aufgehoben. Der Abbruch der restlichen Bahn-Infrastruktur begann 2015.

Streckenführung

Ausgangspunkt der BM war die eigene Station Bellinzona welche ca. 500 m westlich des SBB Bahnhofes lag. Die Linie führte nordwärts durch Aussenquartiere, dann entlang des Ticino, überquerte die Gotthardlinie und anschliessend auf einem schönen Viadukt die Moesa. An den Güteranlagen vorbei wurde die SBB Station Castione-Arbedo erreicht. Hier fand der Güterumschlag zwischen SBB und BM statt. In einer scharfen Rechtskurve an schönen Gärten vorbei gings nun ins Misox, wo die Bahn in den Kanton Graubünden wechselte. Ab S.Vittore begann die Strecke zu steigen und erreichte immer am rechten Talhang bleibend, wo sich auch die Dörfer befinden, die Endstation Mesocco. Dabei folgen sich im obern Teil Brücken, Lehnenviadukte und Tunnel. Die Gleisanlagen in Mesocco waren recht umfangreich mit Holzumladegleis und dem grossen Depotgebäude.

Die Fahrzeit betrug 64 Minuten.

Streckenskizze                                                             Google Earth

Was blieb erhalten? Stand 2007/17

Von der ersten eingestellten Teilstrecke Bellinzona – Castione-Arbedo steht nur noch der Moesa Viadukt. Die Hochbauten in Bellinzona wurden Jahrzehnte nach der Schliessung abgebrochen. Ungefähr die halbe Streckenlänge ist als Wanderweg erhalten. Die Strecke Cama – Mesocco jedoch ist noch fast überall sichtbar und auf grossen Teilen begehbar. Die Stationsgebäude sind noch alle erhalten, jedoch teilweise in sehr schlechtem Zustand. Eine Ausnahme macht das Gebäude von Soazza das 2007 vollständig renoviert wurde sowie das Gebäude von Leggia. Auch das Depotgebäude in Mesocco blieb erhalten und dient als Lagerraum. Viadukte und Tunnel sind in bestem Zustand.
2017 wurde das ehemalige Bahntrassee entlang der Hauptstrasse zwischen Castione und Lumino zu einem Fuss- und Veloweg umgestaltet. Im weiteren Verauf bis Cama ist das Trassee praktisch ausnahmslos begehbar. Im Areal der ehemaligen Valmoesa Werke bei S. Vittore sind zudem noch Normal – und Schmalspurgleise und Weichen erhalten geblieben. Der obere Moesa-Viadukt in Roveredo wurde zu einer Fussgängerverbindung umgebaut.

Bahnwandern 2007

Wunderschön ist die Wanderung auf dem Bahntrassee zwischen Mesocco und Boffalora. In Mesocco Stazione gehen wir auf der Hauptstrasse einige Meter talwärts und sehen sogleich ein schmales Strässchen rechts abbiegen. Es handelt sich um das RhB Bahntrassee welches durch einen tiefen Felseinschnitt führt und nun sachte als Wanderweg talwärts zieht. (Am Wegweiser steht Soazza). Ueber mehrere Brücken, durch Tunnel und Felsen, Wiesen und Wald geht der gut unterhaltene Weg auf dem Bahntrassee nach Soazza. Hier finden wir das schön renovierte Stationsgebäude. Wer nach dieser 3 km Wanderung schon etwas weiche Knie hat kann hier auf den Bus warten. Die andern wandern weiter zwischen dem Felsklotz und der Kirche hindurch auf den Viadukt der die Strasse nach Soazza überquert. Wieder gehts durch herrliche Landschaft über Brücken und durch Tunnel bis wir beim Pont del Sass die alte Talstrasse erreichen. Nun gibt es vom Bahntrassee für mehrere Kilometer nichts mehr zu sehen. Auf der alten Hauptstrasse gehen wir noch 2 km bis zur Bushaltestelle Boffalora wo ein Restaurant unsern Durst stillt. (Die letzten Kilometer auf der alten Hauptstrasse sind nicht gerade die höchste Wanderlust, obschon die Strasse sehr schwach befahren ist. Die Trassee-Wanderung unterhalb Soazza beim Piottatunnel und Viadukt ist derart imposant dass man die Strassenwanderung jedoch gerne in Kauf nimmt).

Wanderzeit Mesocco – Boffalora: 1 Stunde 30 Minuten.

Allgemeine Daten

Betriebsaufnahme Strecke:
Bellinzona – Lostallo 6.05.1907
Lostallo – Mesocco 31.07.1907
Ubernahme durch RhB 1.01.1942
Einstellung Personenverkehr 27.05.1972
Betriebseinstellung Strecke:
Bellinzona – Castione-Arbedo 27.05.1972
Cama – Mesocco 7.08.1978
Castione-Arbedo – Cama 31.12.2003
Abtretung an SEFT, Touristikbahn, Strecke:
Castione-Arbedo – Cama 1.01.2004
Betriebseinstellung Touristikbahn SEFT 31.12.2013
Streckenabbruch:
Bellinzona – Castione-Arbedo 1972
Cama – Mesocco 1980
Castione-Arbedo – Cama 2014/15
Ersatzbetrieb Bus
Streckenlänge bis 1972 31,2 km
Streckenlänge 1972 – 1978 27,9 km
Streckenlänge ab 1978 12,8 km
Spurweite 1000 mm
Kleinster Kurvenradius 80 m
Grösste Neigung 60 0/00
Anzahl Weichen 61
Anzahl Stationen 18
Tiefste Station (Bellinzona) 231 m.ü.M.
Höchste Station (Mesocco) 769 m.ü.M.
Depot / Werkstätte bis 1978 Mesocco (Grono)
Anzahl Tunnel 3
Anzahl Brücken  (über 2 m Länge) 26
Betriebsart Elektrisch
Elektrischer Betrieb ab Eröffnung
Stromsystem Gleichstrom
Spannung 1500 V
Personalbestand 1942 53
Beförderte Personen 1910 280 392
Beförderte Personen 1938 228 750
Beförderte Güter 1910 9 270 t
Beförderte Güter 1938 9 728 t
Anzahl Zugspaare 1972 10
Kupplungssystem ZP2
Bremssystem elektr. Bremse / Druckluft
Stromabnehmer Panto
Fahrzeugbreite 2,70 m
Anstrich der Personenfahrzeuge rot (grün)
Höchstgeschwindigkeit 55 km/h

Rollmaterial bei der Fusion mit der RhB 1942 vorhanden

Triebfahrzeuge

Typ Nr. Baujahr Lieferfirmen Länge Gewicht Leistung Plätze Bemerkungen
    m     t     PS    2./3. Kl.
BCe 4/4   1   1907 Ringh./MFO  15,10    31    260  12 / 39 1942  an RhB
BCe 4/4   2   1907 Ringh./MFO  15,10    31    260  12 / 39 1942  an RhB
BCe 4/4   3   1907 Ringh./MFO  15,10    31    260  12 / 39 1942  an RhB
BCe 4/4   4   1909 Ringh./MFO  15,10    31    260  12 / 39 1942  an RhB
BCe 4/4   5   1909 Ringh./MFO  15,10    31    260  12 / 39 1942  an RhB
Ke 4/4  501   1906 Ringh./MFO  11,06    26    220       — 1942  an RhB

Personenwagen

Typ Nr. Baujahr Lieferfirmen Länge Gewicht   Plätze Bemerkungen
   m     t     2./3. Kl.
C   51   1907  Ringhoffer   9,44     8   —  / 40 1942  an RhB
C   52   1907  Ringhoffer   9,44     8   —  / 40 1942  an RhB
C   53   1905      SIG   9,44     7   —  / 32 1942  an RhB
B   71   1909  Ringhoffer   9,44     8    — / 32 1942  an RhB
FZ  101   1907  Ringhoffer   8,68     7      — 1942  an RhB
FZ  102   1907  Ringhoffer   8,68     7      — 1942  an RhB

Güterwagen

Typ Nr. Baujahr Lieferfirmen Länge Gewicht Ladegewicht Bemerkungen
   m     t t
K   601 – 608  1907 / 08  Ringhoffer  7,45     5      10 1942  an RhB
L 1001 – 1003     1907  Ringhoffer  7,45     5      10 1942  an RhB
L      1004     1918      BM  7,45     5      10 1942  an RhB
M 1101 – 1106  1907 / 08  Ringhoffer  7,45     5      10 1942  an RhB
M 1107 – 1108     1917      BM  7,45     5      10 1942  an RhB
N 1201 – 1204  1907 / 08  Ringhoffer  3,70     4      10 1942  an RhB
N 1205 – 1206     1913     SWS  3,70     4      10 1942  an RhB

Stationen und Haltestellen

Name Bahn km Höhe m.ü.M.  HG  NG  Depot
Bellinzona BM      0,0       231   2   4
Molinazzo      2,0       239   1
Castione-Arbedo      3,5       241   2   5
Castione Villaggio      4.3       246   1
Lumino      5,7       261   2
Valmoesa (nur Güter)      8,1       265   2   3
S. Vittore      9,1       279   2   1
Roveredo    10,8       294   2   1
S. Antonio    11,2       302   1
Grono    12,7       333   3   3
Leggia    15,2       341   2   1
Cama    16,2       352   2   1
Piani di Verdabbio    17,6       371   1
Sorte    19,2       398   1
Lostallo    21,4       426   3   2
Cabbiolo    23,3       449   2
Soazza    28,5       623   2   1
Mesocco    31,3       769   3   4   1

HG = Hauptgleise, NG = Nebengleise

Stationsskizzen

Bilder aus der Betriebszeit

Ausschnitt aus dem Kursbuch Winter 1971/72

Fotos nach der Betriebseinstellung 

Bellinzona BM – Castione-Arbedo (Spurensuche 2007)

Castione-Arbedo –  Cama (Spurensuche 2017)

Cama – Mesocco (Spurensuche 2007/10)

Rollmaterial ex BM / RhB das 2022 noch erhalten war

Auf den 31.12.2003 wurde die Strecke Castione-Arbedo – Cama mit Konzession (und allem Rollmaterial) von der RhB an die Ferrovia Mesolcinese FM übertragen. Nach dem Ende der Touristikbahn FM im Jahre 2013 war der grösste Teil des von der RhB übernommenen Rollmaterials noch vorhanden. Zum Beginn des Streckenrückbaues und Räumung des provisorischen Depotgebäudes in Grono, musste das verbliebene Rollmaterial entfernt werden. Für einen Teil fanden sich private Abnehmer, doch vor allem für die Güter- und Dienstwagen kam nur noch der Abbruch in Frage.
(Das von der FM ergänzte Rollmaterial wird hier nicht berücksichtigt!)

 

Touristikbahn Ferrovia Mesolcinese FM (SEFT)

Seit 1995 betrieb eine kleine im SEFT zusammengeschlossene Gruppe einen Touristikbetrieb auf der damals nur noch im Güterverkehr betriebenen Strecke Castione – Cama. Neben einem Originaltriebwagen der RhB/BM und den beiden von der Appenzellerbahn übernommenen Triebwagen war auch noch ein Fahrzeug der eingestellten Biasca – Acquarossa Bahn BA im Einsatz. 2003 wurde die Konzession von der RhB an die SEFT übertragen.

Einstellung der Reststrecke Castione – Cama der Touristikbahn

Während die Talbevölkerung für den Erhalt der Bahn seinerzeit gekämpft hat, war der Rückhalt für die Touristikbahn leider nicht vorhanden.
Roveredo kämpfte über Jahre hinweg für eine Verlegung der Autobahn welche mitten durch das Dorf führte. Die Proteste hatten Erfolg und die Autobahn wurde in einen Tunnel verlegt. Nun war der Gemeinde auch die ebenfalls durchs Dorf führende Bahnstrecke im Weg. Da auch die übrigen Talgemeinden kein grosses Interesse an der Touristikbahn zeigten, entzog der Bund der SEFT auf Ende 2013 die Betriebskonzession. Die Abbrucharbeiten begannen umgehend und 2016 war die Bahninfrastruktur zwischen Castione und Cama abgebrochen. (Die Gleisanlage bei der RhB / BM Werkstätte Grono blieb vorerst erhalten).

 

 

 

 

Literatur

Bellinzona – Mesocco Bahn, Leutwiler Verlag
Das grosse Buch der Rhätischen Bahn, viafer Verlag
Rhätische Bahn, RhB Eigenverlag
Schweiz. Eisenbahnstatistik 1910 / 1941, Amt für Verkehr
Schienennetz Schweiz, AS Verlag
Aufgehobene Bahnen in der Schweiz, VRS Verlag